Aufdeckung statt Ausbeutung – Solidarität mit der gefeuerten Tönnies-„Whistleblowerin“

Am Donnerstag wurde vor dem Arbeitsgericht Bielefeld über die Kündigung einer Tönnies-Küchenhilfe verhandelt, die im April 2020 ein Video veröffentlicht haben soll, was massive Verstöße des Konzerns gegen die Corona-Schutzmaßnahmen dokumentiert. Das Video sorgte für Schlagzeilen, weil trotz der rasanten Ausbreitung des Corona-Virus hunderte Beschäftigte des Fleischkonzerns dicht gedrängt in der Werkskantine saßen. Kurz darauf wurde der Corona-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies im Kreis Gütersloh bekannt, der bis heute bundesweit seinesgleichen sucht.

Während sich Konzernchef Clemens Tönnies und die Politik überrascht zeigten, wunderte uns der Ausbruch überhaupt nicht. So ist lange bekannt, dass die überwiegend osteuropäischen Arbeiter:innen auf ekelhafte Art und Weise von Tönnies ausgebeutet werden und unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben und arbeiten müssen. Unterirdische Löhne, unsichere Werkverträge über Subunternehmen und kaum Arbeitsschutz — das alles ist Ausdruck, wie Tönnies auf Kosten der Arbeiter:innen reich geworden ist. Es war keine Überraschung, dass sich das Coronavirus unter der Belegschaft des Konzerns ausbreitete, wenn diese in Sammelunterkünften zusammengepfercht wird, sich im „Schichtsystem“ Betten teilen muss und dicht gedrängt in der Fabrik steht.

Dass das Tönnies-Subunternehmen die vermeintliche „Whistleblowerin“ gefeuert hat, können wir nicht unkommentiert stehen lassen. Es ist dringend nötig, die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie öffentlich zu machen und dagegen vorzugehen. Wir solidarisieren uns als Kampagne „Shutdown Schweinesystem“ mit der gekündigten Angestellten, die heute vorm Arbeitsgericht gegen ihren ehemaligen Chef geklagt und (immerhin) 20.000 Euro Abfindung erstritten hat. Doch das ist nur ein kleiner Erfolg gegen das menschenverachtenden Schweinesystem, das Menschen ausbeutet und krank macht.

Wir sagen deshalb: Schluss mit Rassismus, Leiharbeit und Lohndumping – Tönnies enteignen!

Shutdown Schweinesystem!

Stellungnahme zur Haftung von Tönnies-Arbeiter:innen

Wie die „Neue Westfälische“ berichtet prüft das Arbeitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen derzeit, ob für die Infektion von mehr als 1400 Arbeiter:innen bei „Tönnies“ zwei Arbeiter:innen nach dem Infektionsschutzgesetz als sogenannte „Störer“ verantwortlich gemacht werden können.

Die Arbeiter:innen hatte sich zunächst bei Mitarbeiter:innen des in Dissen ansässigen Konzerns „Westfleisch“ angesteckt. Den Kontakt zu den Westfleisch-Arbeiter:innen hatten sie ihren Vorgesetzten gemeldet, welche darin wohl kein Problem sahen und sie weiterarbeiten ließen.

Während die Stadtverwaltung über die Bezirksregierung bis hin zum Landesarbeitsministerium bemüht sind, Zuständigkeiten und Verantwortung von sich zu weisen, halten wir die scheinbare Einigkeit darüber, dass die Schuld bei den Arbeiter:innen zu suchen sei für bezeichnend.

Der Umgang des Unternehmens „Tönnies“ mit seinen Arbeiter:innen ist hinlänglich bekannt. Angst vor ausbleibenden Lohnzahlungen und Unterkünfte die selbst ohne globale Pandemie an jedem Hygienestandard scheitern würden, gehören hier ebenso dazu wie fehlende Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz, gerade auch mit Blick auf nicht einhaltbare Mindestabstände.

Die Verantwortung liegt also eindeutig beim Schweinesystem, das nicht nur hier behördliche und ministerielle Rückendeckung erhält!

Wenn das Landesarbeitsministerium die prekarisierten Arbeiter:innen für systembedingte Verfehlungen verantwortlich machen will, dann zeigt sich deutlich, dass es aufseiten des Tönnies – Konzerns steht, der bereit ist, im großen Stil gesundheitliche Risiken einzugehen, um seine Profitmaschine am Laufen zu halten.

PM: Clemens Tönnies unter Quarantäne gesetzt

Pressemitteilung, 25.07.2020

Clemens Tönnies unter Quarantäne gesetzt
– Aktivist:innen protestieren nach erneutem Corona-Ausbruch

Rheda Wiedenbrück. Aktivist:innen haben am Samstag Mittag im Rahmen der Kampagne „Shut down Schweinesystem“ Clemens Tönnies in seinem Privatanwesen unter Quarantäne gesetzt. Zahlreiche Menschen blockieren zur Zeit die Auffahrt zur Privatadresse des „Fleischbarons“ in Rheda-Wiedenbrück.

„Durch die Aktion soll sich der Milliardär Clemens Tönnies einmal in seinem Leben annähernd so fühlen wie die ausgebeuteten Arbeiter:innen seiner Schweinefabrik, die nun wegen dem erneuten Ausbruch eventuell wieder in Quarantäne müssen. Während bei Tönnies die Produktion nicht schnell genug wieder hochgefahren werden konnte, versagen Tönnies und seine Subunternehmer weiterhin beim Schutz der Arbeiter:innen. Auch an den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen hat sich nach dem ersten Ausbruch nichts geändert.“ so Pressesprecher Jonas Thalberg.

Die überwiegend osteuropäischen Arbeiter:innen werden weiterhin auf ekelhafte Art und Weise von Tönnies ausgebeutet und müssen unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben. Unterirdische Löhne, unsichere Werkverträge und kaum Arbeitsschutz — das alles ist Ausdruck, wie Tönnies auf Kosten der Arbeiter:innen reich geworden ist. Es ist keine Überraschung, dass sich das Coronavirus erneut unter der Belegschaft des Konzerns ausbreitet, wenn diese nach wie vor in Sammelunterkünften zusammengepfercht wird, sich im „Schichtsystem“ Betten teilen muss und weiter eng nebeneinander am Fließband steht.

„Diese menschenunwürdigen Bedingungen sind so eng mit dem Schweinebaron Clemens Tönnies verbunden das wir es gerechtfertigt finden ihn persönlich unter Quarantäne zu stellen um auf das Fortbestehen der katastrophalen Arbeitsbedingungen in Tönnies Schweinefabrik aufmerksam zu machen. Wir fordern Tönnies enteignen – Solidarität mit den Arbeiter:innen“ so Thalberg weiter. Er ergänzt: „Doch nicht nur Tönnies ist Profiteur vom Schweinesystem. Es ist die gesamte Wirtschaftsweise, die permanent Not und Elend hervorbringt. Um im Kapitalismus erfolgreich zu sein, versucht nicht nur Tönnies die Löhne zu drücken und seine Angestellten maximal auszupressen. Auch seine Konkurrent:innen von Westfleisch oder Wiesenhof stehen ihm dabei in nichts nach.“

Die im Juni 2020 ins Leben gerufene bundesweite Kampagne „Shut down Schweinesystem“ möchte den desaströsen Lebensbedingungen in der Fleischindustrie ein Ende setzen. „Wir sagen: Schluss mit Leiharbeit, Lohndumping und Rassismus – bei Tönnies und überall“. so Thalberg abschließend.

Die Kampagne solidarisiert sich durch verschiedene Aktionen mit den Betroffenen und will auf die Missstände aufmerksam machen. Wir planen einen bundesweiten Aktionstag, an dem wir gemeinsam mit euch allen gegen dieses Schweinesystem auf die Straße gehen.

PM: Unverhältnismäßiger Polizeieinsatz nach Protest bei „Besselmann Services“

Beelen/Ostwestfalen – Im Anschluss an eine Protestaktion der Kampagne „Shut Down Schweinesystem“ beim Tönnies Subunternehmer „Besselmann Services“, kam es zu einem fragwürdigen Polizeieinsatz in Beelen bei Warendorf, NRW.

Zuvor hatten Aktivist:innen als Kritik an den Werkverträgen, die Besselmann für Konzerne wie Tönnies oder Westfleisch aushandelt, den Hauptsitz von „Besselmann Services“ symbolisch in „Ausbeutung Services“ umbenannt und geschreddertes Papier hinterlassen.

Auf dem Parkplatz eines Discounters wurde im Anschluss an die Aktion eine größere Gruppe von der Polizei festgehalten. Zu Beginn der Maßnahme erteilte ein Mann mittleren Alters Anweisungen an die Polizei und machte mit seinem Privathandy Fotos von den verdächtigten Personen. Nachdem der festgehaltene Personenkreis eine Ausweisung des Mannes gefordert hatte, gab dieser sich als Polizist aus. Am Ende der Maßnahme bestätigte ein beteiligter Polizist, dass es sich bei dem Mann nicht um einen Polizeibeamten, sondern um einen Mitarbeiter des Unternehmens „Besselmann“ handle. Nachdem die Polizeibeamt:innen seitens der festgehaltenen Personen darüber belehrt wurden, dass die fälschliche Ausweisung als Polizist eine Straftat sei, stritten die anwesenden Beamten ab, etwas dergleichen gehört zu haben. Jonas Thalberg, Pressesprecher der Kampagne „Shut Down Schweinesystem“, kommentiert: „Das ist unfassbar. ‚Besselmann Services‘ scheint hervorragendes Networking in der Region betrieben zu haben, wenn Mitarbeiter:innen Anweisungen an die Polizei erteilen können und im Nachhinein auch noch von dieser gedeckt werden.“

Auch die restliche polizeiliche Maßnahme bleibt fraglich. Über mehrere Stunden wurden die Aktivist:innen zwecks Personalienüberprüfung festgehalten. Die Personengruppe musste dabei zur vollen Mittagshitze in der Sonne ausharren, ohne sich mit Getränken versorgen zu dürfen. Auf die Frage, womit die Maßnahme gerechtfertigt sei, antworteten die anwesenden Polizeibeamten mehrmals, dass sie weder irgendwelche Gründe nennen müssten noch Lust dazu hätten. „Das ist nichts Neues, macht aber dennoch wütend; das hat nichts mit Lust oder Unlust zu tun.“, so Thalberg.

Die Polizei durchsuchte zwei Privatautos und konnte eine Actioncam und ein Banner beschlagnahmen. Thalberg kommentiert: „Die von der Polizei kontrollierten Personen sind sich keiner Straftat bewusst. Sie wurden zu keinem Zeitpunkt des Geländes verwiesen.“ Im Nachgang bestätigt die Polizei Warendorf gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung, dass sie unter anderem wegen Hausfriedensbruch und Beleidigung ermittelten ((Quelle: https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/2090222/unerlaubte-demonstration-in-beelen-ermittlungen-gegen-osnabruecker)). Die Polizei vermutet fälschlicherweise einen 27-jährigen Osnabrücker als „Anführer“, er sei bereits im Vorhinein polizeilich aufgefallen. Bei den anderen handele es sich um „Mitläufer“ [Fehler im Orginal]. Die Kampagne distanziert sich von diesem Vorgehen in aller Deutlichkeit. „Wenn wir politische Aktionen durchführen, gibt es keine ‚Anführer:innen‘. Damit werden nicht nur andere Aktivist:innen nicht ernst genommen, es zeigt sich erneut, wie man scheinbar erst bei der Polizei bekannt sein muss, um als politischer Akteur wahrgenommen zu werden.“, so Thalberg abschließend.

Solidarität gegen die systematische Schweinerei

Zuerst veröffentlicht bei Lower Class Mag.

Die Corona-Krise ist vorbei. Diesen Eindruck kann man zumindest gewinnen, wenn man sich anschaut in welchem Tempo eine Maßnahme nach der anderen gelockert wird. Insbesondere Nordrhein-Westfalen nimmt hierbei unter Ministerpräsident Armin Laschet eine Vorreiterrolle ein. Dass breite Teile der Bevölkerung wieder die Einkaufsstraßen fluten, ihre sozialen Kontakte reaktivieren, dicht an dicht gedrängt in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, ist kaum verwunderlich.

Denn der staatlicherseits angestrebte Spagat zwischen fortlaufendem Zwang zur Arbeit und den sogenannten Social Distancing Maßnahmen im Privaten war schwer nachvollziehbar. Die großen Corona-Partys fanden schließlich staatlich angeordnet in Großbetrieben, wie Amazon-Fulfillment-Centern, dem Bausektor oder Schlachtbetrieben statt und auch überall sonst, wo man auf Saisonarbeiter*innen aus dem (EU-)Ausland angewiesen ist. Diejenigen die nicht weiter arbeiten durften, sahen sich aus dem Nichts mit existenziellen Fragen konfrontiert, auf die der Staat mit Tropfen auf den heissen Stein, wie etwa einem viel zu gering ausfallenden Kurzarbeiter*innengeld, keine angemessene Antwort gab.

Die haarsträubenden Arbeits- und Wohnbedingungen tausender Saisonarbeiter*innen, die, einzig zum Wohl des deutschen Wirtschaftsstandorts und gegen jede Corona-Schutzverordnung, tausendfach eingeflogen wurden, sprechen Bände über die Prioritäten, die während der Pandemie gesetzt werden. Es geht hierbei nicht um den Schutz von Menschenleben, sondern um die Sicherung von Kapitalinteressen und die Fortführung des kapitalistischen Normalvollzugs.

Was die Kampagne #LeaveNoOneBehind schon zu Beginn der Pandemie voraussagte, wird spätestens jetzt Realität: Die Marginalisierten und Prekarisierten trifft die Krise – die auch ohne Corona-Pandemie zu erwarten gewesen wäre und jetzt noch verschärft zu Tage tritt – am stärksten. Die Beispiele aus Ernte- und Schlachtbetrieben wie in Bornheim oder Gütersloh, zahlreichen Geflüchtetenlagern (bspw. in Bremen, Suhl und Ellwangen), aus den Wohnkomplexen Maschmühlenweg und Groner Landstraße in Göttingen und zuletzt aus den Landkreisen Coesfeld und Oldenburg weisen trotz lokaler Besonderheiten viele Gemeinsamkeiten auf.

All diese Orte wurden während der noch immer grassierenden Pandemie zu Corona-Hotspots. Betroffen sind zum Großteil migrantische und prekarisierte Arbeiter*innen. Schon vor der Corona-Krise von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen, bis zur Unsichtbarkeit marginalisiert und nun von den implementierten Corona-Schutzmaßnahmen fast schon mehr betroffen als geschützt: Wo man dazu gezwungen ist, auf engstem Raum nebeneinander zu wohnen und zu arbeiten, sich mit hunderten oder gar tausenden Anderen eine prekäre Lebensrealität teilt und es gleichzeitig am Nötigsten für einen effektiven Infektionsschutz fehlt, ist Armut der Grund für Krankheit oder sogar Tod.

Der Fall des am Virus verstorbenen Feldarbeiters in Bad Krozingen, wie auch die unzähligen Ausbrüche in Göttingen oder im Schlachtbetrieb Tönnies strafen die vielzitierte Phrase “Vor dem Virus sind wir alle gleich” mit frappierender Evidenz Lügen. Die Corona-Krise zeigt überdeutlich auf, dass soziale Lage und Gesundheit unmittelbar miteinander verbunden sind und, dass man für Kohle bereit ist, über Leichen zu gehen.

Als wäre das für sich noch nicht genug, befeuern Politik und Medien eine rassistische Mobilisierung gegen die am schlimmsten von der Pandemie Getroffenen. So sprach etwa der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet vor dem Hintergrund der jüngsten Ausbrüche in den Schlachtbetrieben davon, dass das Virus aus Rumänien oder Bulgarien eingeschleppt worden sei, während die von ihm forcierte Lockerung der Maßnahmen in keinem Zusammenhang damit stünde. Gleichermaßen bediente etwa die bundesweite Presse rassistische Motive, wonach migrantische Großfamilien für die steigenden Infektionszahlen in Göttingen verantwortlich seien und fütterten somit jenes rassistische Narrativ, welches dem Terroranschlag von Hanau am 19. Februar 2020 den Nährboden bereitete.

Im Rahmen des jüngsten Skandals trifft es also wieder eine Produktionsstätte, in der mehrheitlich osteuropäische Saisonarbeiter*innen unter prekären Bedingungen beschäftigt und untergebracht sind: Wochenlang werden die Arbeiter*innen in die Schlachthöfe gekarrt, arbeiten und leben auf engstem Raum und sind so einem unverantwortlichen Infektionsrisiko ausgesetzt. Die öffentlich gewordenen Bilder zeigen überfüllte Kantinen, mangelhafte Schutzausrüstung und bereitgestellte Unterkünfte, die eher den Ställen der geschlachteten Tiere ähneln, als einer menschenwürdigen Wohnsituation. Den Arbeiter*innen werden mitunter 7-Bett-Zimmer zu horrenden Preisen bereitgestellt, deren Kosten bereits vom ohnehin unwürdig geringen Lohn abgezogen werden. Die Lebensmittelversorgung während des Lockdowns, die von Tönnies übernommen werden sollte, ist unzureichend und hat bereits zu massiven Versorgungsengpässen gesorgt.

Die rigorose Durchsetzung des Lockdowns in den betroffenen Landkreisen durch massive Polizeipräsenz an den Unterkünften der Belegschaft macht auch hier wieder den rassistischen Charakter der staatlichen Institutionen deutlich. Nirgendwo sonst wurde in solch einer repressiven Weise das Leben der Menschen während der Pandemie kontrolliert und durchleuchtet wie bei den betroffenen, meist osteuropäischen Saisonarbeiter*innen.

Ausgestattet mit Werk- und Leiharbeitsverträgen von Sub-Subunternehmen, ist es den Arbeiter*innen kaum möglich ihre Arbeitsrechte wahrzunehmen und gegen die miserablen Arbeitsbedingungen vorzugehen. Drohender Lohnausfall stellt die Betroffenen von einem Tag auf den anderen vor existenzielle Bedrohungen. Die Angst in Armut und Obdachlosigkeit abzurutschen und die neuerlich verabschiedeten Maßnahmen verschärfen die Abhängigkeit von diesem Schweinesystem und verhindern eine solidarische Praxis der Belegschaft untereinander.

Die Beschäftigung über Subunternehmen in Werksverträgen, menschenunwürdige Unterbringung, schlechte Verpflegung und der ausbleibende Seuchenschutz in Zeiten der Pandemie sind keine Einzelfälle, sondern haben System. Der deutsche Wirtschaftsstandort im Allgemeinen, das einzelne Unternehmen im Besonderen, profitieren hier von der ökonomischen Abgeschlagenheit osteuropäischer Nachbarstaaten. In Zeiten eines globalisierten Arbeitsmarktes wird hier ein internationaler Klassenwiderspruch deutlich: Es wurde eine Armee billiger Arbeitskräfte geschaffen, deren prekäre Situation sie dazu nötigt, unter widrigsten Bedingungen als Arbeitsmigrant*innen in der Reproduktion, auf Spargelfeldern oder in Schlachtbetrieben diejenigen Tätigkeiten zu verrichten, für die sich Deutsche noch zu schade sind und müssen dann auch noch froh darüber sein, damit ihre Familien ernähren zu können.

Dennoch zeigt der Arbeitskampf der Feldarbeiter*innen in Bornheim, dass sich, zumindest im Ansatz, gegen solche Zustände gewehrt werden kann. Sie legten die Arbeit nieder und organisierten sich, nachdem ihnen ihre Lohnzahlungen vorenthalten wurden. Die Folge waren acht Tage wilde Streiks, die es den Arbeiter*innen am Ende ermöglichten zumindest einen Teil ihrer rechtmäßig zustehenden Kohle zu erkämpfen. Es wurde deutlich, dass durch Organisierung und Solidarisierung gegen die Arbeitsbedingungen die Arbeiter*innen eine Selbstermächtigung herbeigeführt haben, das welche die strukturelle Benachteiligung der ausländischen Arbeiter*innen aufbrechen konnte.

Wir rufen dazu auf, die negative mediale Öffentlichkeit, die Tönnies gerade hat, nicht abbrechen zu lassen und sich mit den Arbeiter*innen sichtbar und praktisch zu solidarisieren. Das ist auf vielfältige Art und Weise möglich! Als anlassbezogenes Bündnis “Shut Down Schweinesystem” werden wir in den nächsten Tagen und Wochen weiterhin Imageschaden gegen Tönnies und dem Schweinesystem als solchem betreiben und dabei Solidarität mit den Beschäftigten ausdrücken. Dementsprechend wollen wir auch alles tun, den Arbeiter*innen das zur Verfügung zu stellen, was praktisch gebraucht wird; seien es materielle Hilfsgüter oder Kanäle, um ihre Stimmen Widerhall zu verleihen. Als radikale Linke können wir die Geschehnisse mit skandalisieren, aber was benötigt wird, das wissen die Arbeiter*innen am Ende noch immer am besten.

PM: Aktivist:innen blockieren Tönnies-Subunternehmen in Bielefeld

Kampagne „Shut down Schweinesystem“ prangert Ausbeutung von
Arbeiter:innen an

Bielefeld/Rheda Wiedenbrück. Aktivist:innen haben am Freitag Morgen im Rahmen der Kampagne „Shut down Schweinesystem“ das Bielefelder Unternehmen Ni.Ke. Fleischverarbeitung GmbH blockiert. Mit einer vorgefertigten Holzkonstruktion versperrten sie den Eingang des Ladenlokals in der Große-Kurfuersten-Str. 67.

Anlass der Aktion sind die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und Rassismus beim Fleischkonzern Tönnies, von welchen auch das Subunternehmen mit Sitz in Bielefeld profitiert. „Während bei Tönniesdie Produktion nicht schnell genug wieder hochgefahren werden konnte versagten Tönnies und seine Subunternehmer komplett bei der Versorgung ihrer Mitarbeiter:innen in Quarantäne. An der prekären Arbeitssituation der Arbeiter:innen in der Fleischindustrie hat sich also nichts geändert“, so Pressesprecher Jonas Thalberg. „Der Corona-Ausbruch bei Tönnies kam nicht überraschend, denn längst ist bekannt, dass die Angestellte auf übelste Art und Weise ausgebeutet werden und sich teilweise in Schichtbetrieben die Betten teilen müssen.“ Für Schlagzeilen sorgte in diesem Kontext auch die Tatsache, dass vor dem Corona-Ausbruch die Produktion bei Tönnies hochgefahren wurde, um die Profite weiter zu steigern – all das bei fehlenden Hygienemaßnahmen, welche die Angestellten hätten schützen können und somit die Gesundheit der Mitarbeiter:innen bewusst gefährdet wurde.

Die im Juni 2020 ins Leben gerufene bundesweite Kampagne „Shut down Schweinesystem“ möchte den desaströsen Lebensbedingungen in der Fleischindustrie ein Ende setzen. „Wir sagen: Schluss mit Leiharbeit, Lohndumping und Rassismus – bei Tönnies und überall“. so Thalberg abschließend. Die Kampagne kündigt an dieser Stelle weitere Aktionen an.

Liste mit Akteur:innen des Schweinesystems!

Clemens Tönnies ist aktuell völlig zurecht einer der vermutlich meist gehassten Menschen Deutschlands. Denn der „Fleischbaron“ aus Rheda-Wiedenbrück ist, durch die Ausbeutung „seiner“ Angestellten, Nutznießer der prekären Lebensverhältnisse, die den aktuellen Corona-Ausbruch im Kreis Gütersloh begünstigt haben. Doch Tönnies selbst ist nicht der Einzige, der vom Schweinesystem profitiert.

Auch ein ganzes Netz an Subunternehmen profitiert von der Ausbeutung der überwiegend osteuropäischen Arbeiter:innen. Laut Aussage der für die Fleischindustrie zuständigen Gewerkschaft NGG sind von 4.000 Beschäftigten am Tönnies Standort in Rheda-Wiedenbrück lediglich 500 festangestellt. Der überwiegende Teil der Belegschaft wird von „Personaldienstleistern“ über Werkverträge rekrutiert, die sich ebenfalls an der Abhängigkeit der Menschen bereichern. So gibt es unzählige Berichte über Lohndumping durch unbezahlte Überstunden und fehlende Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit, Kündigungen nach Arbeitsunfällen oder Sanktionen bei Krankheit. Befragungen von Mitarbeitenden durch gewerkschaftsnahe Beratungsstellen ergaben, dass viele Werkvertragsarbeiter:innen über Stress, Müdigkeit und Erschöpfung klagen und 16-Stunden-Schichten keine Seltenheit sind.

Doch nicht nur durch die Vermittlung der Arbeit verdienen die Subunternehmen – auch bei der Unterbringung werden die Angestellten ordentlich ausgepresst. So mieten die Subunternehmen zumeist stark sanierungsbedürftige Immobilien an, um ihre Angestellten unter unmenschlichen Bedingungen zusammenzupferchen und dafür auch noch ein guten Teil ihres Lohns einzubehalten. Diese Subunternehmen sind ebenfalls Teil des Schweinesystems und befinden sich nicht nur im Kreis Gütersloh. Auch in Bielefeld, München oder Paderborn gibt es die Möglichkeit gegen die Ausbeutung in der Fleischindustrie aktiv zu werden. Also seid kreativ – “Shut down Schweinesystem“!

  1. Agriserv Europa Meat S.R.L., Druffeler Str. 160, 33397 Rietberg
  2. ALMA-M-Sia, Im Dörener Feld 16, 33100 Paderborn
  3. Besellmann GmbH & Co. KG, Westring 20, 48361 Beelen
  4. Best Promo Distric SRL, Eichenweg 5, 33378 Rheda-Wiedenbrück
  5. DSI GmbH & Co. KG, Kupferstr. 11a, 33378 Rheda-Wiedenbrück
  6. Flash-Works GmbH, Schulstr. 6, 17373 Ueckermünde
  7. MTM Dienstleistung GmbH, Tenge-Rietberg-Str. 100, 33758 Schloss Holte-Stukenbrock
  8. MGM Handels- und Vermittlungs GmbH, Tenge-Rietberg-Str. 100, 33758 Schloss Holte-Stukenbrock
  9. Ni. Ke. Fleischverarbeitungs GmbH, Große-Kurfürsten-Str. 67, 33615 Bielefeld
  10. TD Services Convenience Food, Eduar-Thoeny-Str. 15, 81477 München
  11. UNITY Imobilien GmbH, Wilhelmstr. 6, 33378 Rheda-Wiedenbrück
  12. Ergie Personalvermittlung GmbH, Mönchstr. 11, 33378 Rheda-Wiedenbrück

Stellungnahme zu den Lockerungen im Kreis Gütersloh

Presseberichten zufolge kippte das Oberverwaltungsgericht Münster die Corona-Beschränkungen für den Kreis Gütersloh mit dem Verweis darauf, dass diese nicht mehr verhältnismäßig seien.

Praktisch unmittelbar nach dem Aufheben des Lockdowns wird bereits über das Wiederhochfahren der Produktion in Rheda-Wiedenbrück beraten. Expert:innen und Behördenvertreter:innen begehen hierfür den Schlachtbetrieb. Zuvor hatte der Tönnies-Konzern ein überarbeitetes Hygienekonzept vorgelegt.

Das Konzept an sich zieht bereits Kritik auf sich. Ob so die Gesundheit von Arbeiter:innen geschützt werden kann bleibt mehr als fraglich.

Zusätzlich dazu macht ein neues Hygienekonzept noch nicht die schlechten Verhältnisse in den Betrieben wett:

  • Arbeiter:innen sind immer noch vom Virus betroffen.
  • Werkverträge binden die Menschen weiterhin an ausbeuterische Arbeitsverhältnisse.
  • Die Unterkünfte der Arbeiter:innen sind nach wie vor beengt und in desolaten Zuständen.

Dass die Wiederaufnahme des Normalbetriebs das erste ist, was bereits vor der Aufhebung des Lockdowns vorbereitet wurde und nun vehement ausgehandelt wird, zeigt einmal wieder auf zynische Weise wo die Prioritäten liegen: eben nicht beim Wohlergehen der Menschen, sondern beim wirtschaftlichen Profit.

Grundsätzlich ist die Aufhebung der repressiven Lockdown-Maßnahmen gegen die Menschen im Kreis Gütersloh zu begrüßen. Lasst die nicht mehr infizierten Menschen vor die Haustür und die Tönnies-Arbeiter:innen raus aus den überfüllten Unterkünften!

Eine Wiederaufnahme der Produktion ist jedoch vehement abzulehnen! Gleichzeitig muss die soziale und finanzielle Absicherung der Arbeiter:innen durch abzugsfreie Lohnfortzahlungen gewährleistet sein.

Wir bleiben dabei: Auf den Lockdown muss der Shutdown des Schweinesystems, das Ende von Rassismus, Leiharbeit und Lohndumping, folgen.

PM: Bundesweiter Aktionstag gegen den Tönnies-Konzern angekündigt

– Neu gegründete Kampagne formiert sich zu Protest –
– Aktionen in Rheda-Wiedenbrück, Köln und Osnabrück –
– Weitere Aktionen angekündigt –

Unter dem Motto „Shut Down Schweinesystem! — Gegen Rassismus, Leiharbeit und Lohndumping!“ haben sich Gruppen aus Berlin, Köln, Bielefeld, Göttingen, Osnabrück und Münster zusammengeschlossen, um gegen die untragbaren Zustände in der Fleischindustrie aktiv zu werden und sich mit den Beschäftigten zu solidarisieren.

Bereits an diesem Wochenende fanden Protestaktionen vor dem Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück, in Köln auf der Rheinbrücke und in Osnabrück statt (Bilder siehe unten).

Für die kommenden Wochen kündigt die Kampagne weitere Aktionen und einen bundesweiten Aktionstag an.

Anlass zur Gründung der Kampagne ist der Corona-Ausbruch beim Tönnies Konzern im Kreis Gütersloh. „Es ist keine Überraschung, dass sich das Coronavirus unter der Belegschaft des Konzerns ausbreitet, denn diese ist in Sammelunterkünften zusammengepfercht und muss sich im ‚Schichtsystem‘ Betten teilen“, sagt Jonas Thalberg, Sprecher der Kampagne. „Die nun empörten Stimmen aus der Politik, haben die ausbeuterischen Verhältnisse über Jahre unterstützt und von ihnen profitiert. So erhielt die lokale CDU Rheda-Wiedenbrück sechsstellige Summen an Spendengeldern von Tönnies. Dass Sigmar Gabriel vom SPD-Bundespolitiker zum bezahlten Berater von Tönnies geworden ist, spricht für das Verhältnis der Politik zur Wirtschaft.“ so Thalberg weiter. „Wir als Kampagne erklären uns daher ausdrücklich solidarisch mit den Arbeiter*innen des Schweinesystems Tönnies, die ökonomischer Ausbeutung und rassistischer Stigmatisierung ausgesetzt sind!“

Unterstützer:innen der Kampagne:

  • Antinationale Linke Bielefeld (ALiBi)
  • Eklat Münster
  • No Lager Osnabrück
  • Libertäre Kommunist:innen Osnabrück (LiKOS)
  • Theorie, Organisation, Praxis Berlin (TOP B3rlin)
  • Redical M Göttingen
  • Antifa AK Cologne

Weitere Informationen sowie ein Aufruf zum bundesweiten Aktionstag sind unter schweinesystem.noblogs.org zugänglich. Für Rückfragen oder O-Töne steht Ihnen unser Pressekontakt telefonisch oder per E-Mail zur Verfügung.

Mail: schweinesystem@riuseup.net
Telefon: +49 163 3398678

schweinesystem.noblogs.org
Twitter: @X_Schweinesys
Instagram: shut_down_schweinesystem

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Köln
Osnabrück